Auf dieser Seite befindet sich ein kleines Archiv von Texten, die auf die einzelne Gespräche mit den Menschen basieren, die sich auf unser Angebot eingelassen haben, über eine Gemeinschaft vor Ort zusammen nachzudenken sowie sich Gedanken darüber zu machen, wie können wir vor Ort im Viertel aber auch auf dieser Welt besser zusammen leben.





1 Gemeinschafts- und Privatsphäre - Im Gespräch mit Britta




Zusammen mit meinem damaligen Mann bin ich 2003 in eine Zweiraumwohnung in der achten Etage des Eiermannhauses gezogen. Damals habe ich noch in London gearbeitet, sodass ich erst 2006 richtig hier eingezogen bin. Heute teile ich mir die Wohnung mit meiner Tochter und meinem Lebenspartner.

Der soziale Wohnungsmarkt verschwindet

Zu Beginn war das Eiermann Haus noch an den sozialen Wohnungsmarkt gebunden. Diese Bindung gibt es schon länger nicht mehr und Vonovia, die jetzige Eigentümerin, ist eher an Profitmachen über den Weg erhöhter Nebenkostenabrechnungen und Erhöhung der Grundmiete interessiert. In den Wohnungen dürfen eigentlich aus Denkmalschutzgründen keine Veränderungen vorgenommen werden. Das sieht die Vonovia allerdings nicht so eng. Aber im öffentlichen Raum ist ein extremes Festhalten an der 1957 Ausstellung und Denkmalschutzforderungen die Realität.

Produktive soziale Mischung wird ausgeblendet

Ich finde das Hansaviertel als Wohnungsort spannend und speziell. Es ist für Berlin eines der wenigen innerstädtischen Orte, in welchem eine große Generationsbreite, sowie fast alle gesellschaftlichen Schichten vertreten sind. Seit mehreren Jahren ist dieses komplette Abbild der Gesellschaft im Hansaviertel rückläufig. Die neu zu vermietenden Wohnungen werden immer teurer, womit mehr Menschen der Mittel- und Oberschicht von Angeboten im Viertel angesprochen werden. Gleichzeitig werden die Menschen ohne Erwerbstätigkeit sowie Kleinverdiener*innen ausgeschlossen.

Die auf der Straße Lebenden

Früher war dasVerhältnis zwischen den An- und Bewohner*innen und den Menschen, welche auf der Straße leben, vertrauter als heute. Die Obdachlosen waren friedlicher und haben sich mehr bemüht, ihre Menschlichkeit zu behalten. Heute empfinde ich die Mehrheit der Obdachlosen jedoch oft als aggressiv. Für eine erfolgreiche Reintegration dieser Menschen müsste die Stadt eine zentrale Anlaufstelle mit Sozialarbeiter*innen stellen. Hier könnten die Straßenbewohner*innen professionelle Unterstützung erhalten. Anfangen könnte man z. B. mit der Verteilung verschiedener Aufgaben im und fürs Hansaviertel.

Gemeinschafts- und Privatsphäre

Ich finde, dass das Eiermann Haus Gemeinschafts- und Privatsphäre bietet. In unserem Haus suchen manche den Austausch und andere wiederum ziehen sich gerne zurück. Und das wird ebenfalls akzeptiert. Wir kennen unsere Nachbar*innen, tauschen uns aus und unterstützen uns gegenseitig. Ich bin mir nicht sicher, ob das überall im Haus so ist. Als einen weiteren Grund für das doch relativ gute gemeinschaftliche Nachbardasein sehe ich, dass die Mehrheit bei uns Langzeitmieter*innen sind. Während ich den Flur durchaus als öffentlichen Raum wahrnehme, der die Möglichkeit für soziale Kontakte bereithält, bietet der Schnitt unserer Wohnung Privatsphäre. Auch die zurückgesetzte Ausrichtung unseres Balkons schafft privaten Raum. Und das finde ich gut.
Ich denke, dass Niemeyer das Konzept des Gemeinschaftsraumes eher nach der Kultur seines Heimatstaates Brasilien ausgerichtet hat. Dort leben die Menschen anders zusammen und gehen anders miteinander um. Dort werden Gemeinschaftsräume selbstverständlicher genutzt, z. B. um die Wäsche aufzuhängen, sich zu unterhalten, eine Party zu machen, aber auch, um Streitigkeiten auszutragen. In Deutschland fehlt es zum einen an solch einer Streitkultur und zum anderen gibt es zu viele Regeln, sodass im Vorhinein erst einmal alles in Frage gestellt wird.
Damit der Gedanke eines Gemeinschaftsraumes in Deutschland angenommen wird, müsste die Architektur so designt sein, dass jeder Mensch einen Rückzugsort und gleichzeitig Zugang zu einem großen Gemeinschaftsraum hat. Dieser Raum müsste aber von einer verantwortlichen und motivierten Person gesteuert und organisiert werden. Von alleine wird wahrscheinlich nichts passieren. Gemeinschaft funktioniert immer dann, wenn sich eine*r mit ganz viel Elan dafür einsetzt!

Das gemeinsame Gärtnern, ein Wünsch für den öffentlichen Raum im Viertel

Für den öffentlichen Raum des Hansaviertels wünsche ich mir ein Angebot, welches die unterschiedlichen Bedürfnisse und Wünsche der Bewohner*innen auffängt. Das würde die Menschen rund um den Hansaplatz zusammenbringen und auch die zuweilen schwierige Kommunikation vereinfachen. Es müsste etwas entstehen, von dem jede*r ein bisschen was hat, dann könnten gemeinschaftliche Projekte entstehen. Gemeinsam wohnen in der Stadt von Morgen bedeutet für mich, dass wir Veränderungen die auf uns zukommen werden annehmen, von alten und vertrauten Systemen und Denkweisen wegkommen und neu Denken. Dazu gehört für mich auch die Frage, wie wir uns in Zukunft in der Stadt ernähren wollen. Es muss mehr über den Klimawandel gesprochen werden, ein Bewusstsein geschaffen und dann gemeinsam gehandelt werden. Vielleicht wird das gemeinsame Gärtnern nicht nur Notwendigkeit in der Stadt von Morgen, sondern entwickelt sich gleichzeitig hin zu einem gemeinschaftlichen Raum?




2 Die Nachkriegsmoderne - Im Gespräch mit Carsten





Carsten  wohnt seit über 20 Jahren im Haus-Eiermann im Hansaviertel; ist dort ein Mieter. Er studierte visuelle Kommunikation an der Universität der Künste und arbeitet als Ausstellungsdesigner. Seit einigen Jahren leitet Carsten leidenschaftlich und ehrenamtlich seine architekturbezogenen Touren im Viertel. Ihm geht es um die Vermittlung des Architektonischen Erbes der Nachkriegsmoderne, sowie des Wissens, welches diese Architektur und ihre Geschichte generieren. Am Anfang unseres Gesprächs sagte ich nur: Das Kernthema ist das Miteinander; und Carsten fing an zu erzählen:


In Schöneberg zu wohnen mit drei Kneipen um die Ecke ist auch nett aber ich wohne lieber hier. Ich habe bereits in meiner Jugend eine starke Bindung an nachkriegsmoderne Architektur entwickelt. Als Student bin ich direkt ins Hansaviertel gezogen. Damals wohnte ich in der ersten Etage. Heute lebe ich im achten Stock. In unserem Haus wohnen keine Eigentümer, wie sonst in den meisten Häusern des Viertels. Ich habe auch eine vermietete Eigentumswohnung in einem anderen Haus hier im Viertel. Die Dynamik zwischen den Menschen in den Häusern, bezogen auf Eigentümer und Mietende ist sehr unterschiedlich. Ein spannender Sachverhalt.

Im Eiermann-Haus hatte ich sofort Kontakt mit einer Vielzahl von Mitbewohnern obwohl das Haus die Kommunikation eigentlich nicht durch architektonische Besonderheiten fördert. Die Konzeption des Alvar-Aalto-Haus ist für den Austausch der Bewohnenden deutlich besser geeignet, hier laden die Treppenhäuser zum verweilen ein. Trotzdem entsteht bei uns im Haus das Wir-Gefühl immer in den Doppeletagen, die mit kleinen Treppen verbunden sind.


Die Nachkriegsmoderne ist meine Leidenschaft

Meine Neigung zur Nachkriegsmoderne ist mit meiner Kindheit und mit dem Aufwachsen in Nürnberg verbunden. Der Architekt Sept Ruf hat in Nürnberg viel gebaut[1]. Das Germanische Nationalmuseum sieht teilweise wie ein James Bond Filmset aus, und als Teenager war ich sehr gerne und oft dort. Es sind einfach tolle Räume. Andererseits hat die Nachkriegsmoderne etwas unaufdringliches. Die Architekten gingen damals mit den Ressourcen sehr überlegt um, weil man nur wenige hatte. Es ist aber nicht nur formal interessant; die Wohnqualität ist eben da. Die Gründerzeitarchitektur ist auch OK, aber mit der Moderne nicht zu vergleichen.


Engagement und was kann Architektur den Menschen vermitteln?

Ich begeistere mich für diese Architektur und für die Idee, dass man sie pflegt und kommuniziert. Deshalb habe ich mit den Touren angefangen; ich mache es umsonst und die Einnahmen gehen zu 100% an den Bürger Verein. Zwei Drittel meiner Touren sind mit Studierenden.
Die sozialen Aspekte der Architektur sind mir wichtig. Was war die Idee des Viertels politisch? Was war das für ein Gesellschaftsbild damals? In welchen Häusern wird wie kommuniziert? Wo funktioniert diese und wo nicht? Welche Grundrisse funktionieren, welche nicht  so optimal? Ich versuche Gespräche mit den Studies zu führen. Welche Ideen und welche Gesellschaftsidee werden durch diese Architektur kommuniziert? Warum gibt es ein Haus mit lauter Ein-Zimmer-Wohnungen? Wie kommt es, dass  dieser Bedarf überhaupt gesehen wurde? Was sind die Sozialwohnungen, und warum werden sie verkauft? Solche Fragen helfen, die städtebaulichen Zusammenhänge zu verstehen. Wie tickt die Gesellschaft? Und wie verhalte ich mich als Teil dieser?


Renovierung und Zukunft

Im Hansaviertel steht vielen Häusern eine Renovierung an. Es muss denkmalgerecht saniert werden, was teuer werden kann. Für viele können die Kosten eine starke Belastung darstellen, was zu Gentrifizierung führen kann.
Wenn ich an die Zukunft denke, frage ich mich, was gibt's für Möglichkeiten, anders zu kommunizieren und auch tatsächlich zu sagen: Wir wollen, dass es hier nett ist. Wir wollen, dass es hier nicht so  runtergekommen aussieht. Wie kann man sich weiter engagieren und verbinden?


Soziale Mischung. Unterschiedliche Menschen kommen zusammen im Viertel

Die Lage hier ist eine unglaublich privilegierte Lage mitten im Stadtzentrum im Grünen. In Vergleich mit London oder New York, ist es erstaunlich, dass es hier überhaupt noch bezahlbar ist. Natürlich muss eine Stadt die Mischung der Menschen haben. Man kann dafür kämpfen, dass es erhalten wird, aber so wie wir gesellschaftlich im Moment aufgestellt sind, ist es nicht absehbar, dass das Gemisch bleibt. Bei den Touren  zitiere ich Texte der Ausstellung „die Stadt von Morgen“ aus dem Jahr 1957. Dort wird gefordert, Grund und Boden zu sozialisieren. Ziemlich progressiv für West-Deutschland in der Adenauer-Zeit, oder?


Schlusswort und ein Vorschlag

Das Gefühlt der Nachkriegszeit, ist meines Erachtens noch immer hier vor Ort präsent.
Die Entscheidung von damals, das Viertel nicht wieder aufzubauen sondern zu sagen: Hier bauen wir neu: Wir bauen für eine neue demokratische Gesellschaft; diese Idee finde ich noch immer sehr stark und relevant.

Ich wünsche mir im Einkaufszentrum einen Treffpunkt für die Nachbarschaft und Besuchende der Interbau-Architektur. Raum für Begegnung, für Austausch und einen Ort an dem wir unser wunderbares Viertel und seine Qualität „feiern“ können.






3 Wie bin ich ins Hansaviertel gezogen - Im Gespräch mit K. 



K. ist eine in Berlin geborene Künstlerin, die seit den 1980er Jahren im Ausland gelebt und gearbeitet hat. Neben ihrer erfolgreichen Kunstkarriere ist sie parallel als Architektin und Bauherrin tätig gewesen. Seit einigen Jahren hat K. ihr Zuhause im Niemeyer Haus, was für sie einen besonderen emotionalen Wert hat.

Meine Familie väterlicherseits, meine Omi, meine Tanten und Cousinen haben alle im Ostteil Berlins gewohnt. Als mein Vater aus der Gefangenschaft kam, gab es in Berlin keinen Wohnraum. Dann hat er meine Mutti kennengelernt und sich eine ausgebrannte Dachstube selber aufgebaut. Dort bin ich auch geboren. Wir hatten eine Küche, ein Wohnzimmer und eine Gemeinschaftstoilette eine halbe Treppe tiefer. Meine Eltern haben sehr konsequent gespart, um 1959 ein Grundstück in der Westfälischen Siedlung in Spandau zu kaufen und ein Einfamilienhaus zu errichten. 1961 sind wir umgezogen. Ich erinnere mich noch deutlich an die Errichtung der Mauer, an all die weinenden Menschen auf der Bernauer Straße, die auf Abstand den Abschied von ihren Familien und Freunden nahmen.

Meine Kindheit war paradiesisch, sage ich dir. Meine Eltern haben mich immer spielen und frei gelassen und mich nie mit Hausarbeit gegängelt. Sie vertraten die Meinung, dass das meiste, was man als Kind erlernt, die soziale Fähigkeit ist und die Kreativität beim Spielen.

Unser Haus in Spandau ist durch viel Eigenleistung und Hilfe von Freunden errichtet worden: Als Mädel war ich stolz darauf, meinem Vater bei den praktischen Arbeiten assistieren zu dürfen. Unser Haus ist ganz hübsch geworden: ein Einfamilienhaus, drei Zimmer, unterkellert, dazu 700qm Garten. Mein Vater hat das Haus selbst entworfen; das Dach und die Fundamente so konzipiert, dass man später noch eine Etage dazubauen könnte. Er hat sich für Architektur begeistert, hat viel darüber gelesen und im Selbststudium sich vieles selbst beigebracht. Ich erinnere mich, dass ich mehrmals mit ihm das Hansaviertel besucht habe. So hatte er mir zu jedem Haus viel Spezielles erklärt. Das Niemeyer Haus war sein Lieblingshaus.

Später hatte mein Vater Angst, dass es in Berlin zum Eklat kommt. So verkaufte er 1969 unser Haus, leider nur für einen Apfel und ein Ei, da viele in der Zeit Berlin verließen. Meine Eltern zogen in eine Kleinstadt in die Nähe von Hannover um. Ich blieb in Berlin zum Studieren.

Nach dem Studium sind mein ehemaliger Mann und ich aus beruflichen Gründen von Berlin nach Holland gezogen. Dort wurde ich nach Jahren eine offizielle Hausbesetzerin in einer ehemaligen Schule, wo mir ein großes Atelier zur Verfügung gestellt wurde. Mit anderen Künstler*innen haben wir ein Kollektiv gegründet und Pläne bei der Gemeinde eingereicht, um die Schule umzubauen. Ich habe als Architektin den Umbau geplant und ausführen lassen. Die Erfahrung, die ich als Jugendliche mit meinem Vater beim Hausbau gemacht habe, hat mir den Mut gegeben, viele Jahre später dieses Projekt einzugehen.

In meiner Zeit in Holland habe ich in einer deutschen Zeitung eine Anzeige gelesen, dass im Hansaviertel Wohnungen verkauft werden. So haben sich mein Ehemann und ich damals die kleinste Wohnung im Niemeyer Haus gekauft. Nach meiner Scheidung habe ich diese Wohnung umgebaut. Meine Eltern haben mir unter die Arme gegriffen. Ich habe mir damals gedacht: „Mein Gott, wenn die Wohnung doch größer wäre! Hier kann ich nicht wohnen.
“ Da ich Künstlerin bin, brauche ich auch Atelierraum. Zwei Jahre später ruft mich der Verwalter an und erzählt mir, dass die Wohnung neben meiner freigeworden ist und ein Interessent sie nur nimmt, wenn er meine Wohnung dazubekommt. Dann habe ich gesagt: „Ich bitte Sie! Das möchte ich doch selber.“ Am nächsten Tag bin ich in den Zug gestiegen. Dem Verwalter habe ich gesagt, dass ich zwar momentan kein Geld habe, aber ob er mir die Wohnung trotzdem verkaufen würde, dass ich maximal zwei Jahre brauchen würde und habe ihm einen angemessenen Zinssatz angeboten. Ich führte aus, dass er keinen Verlust haben wird und wir den Kaufvertrag gleich heute hier machen könnten. Es hat funktioniert!

Ist das nicht irre? Dass ich hier mit meinem Papa so oft unterwegs war, dass ich zufällig die Zeitung aufschlage und sehe, dass im Niemeyer Haus Wohnungen zum Verkauf stehen und dass mir Wohnungen angeboten wurden, ist schon mystisch. Durch die ganze Geschichte fühle ich mich hier auch mit meinen Eltern, besonders mit meinem Vater, verbunden.

In einer Stadt von Morgen würde ich gerne alternative Energien sehen. Miteinander für Morgen geht nicht ohne Engagement, braucht aber Visionen, die mit unserer Umwelt und unseren sozialen Kompetenzen zu tun haben. Es kann nicht nur so bleiben wie es ist, sonst ist es nicht mehr die Stadt von Morgen.




4 Zukunftsfähigkeit der Stadt von morgen - Im Gespräch mit Holger



Holger arbeitete als Schreiner an unterschiedlichen Bau-Projekten, wie zum Beispiel „domeofvisions“ in Kopenhagen. http://domeofvisions.com/ Seine Interessen liegen bei der experimentellen Architektur, bei baulichen Interventionen im öffentlichen Raum sowie bei den Themen Umwelt und Gemeinschaft. Bis jetzt hat er mehrere Prototypen von Bau-Elementen für die Anwendung in Wohnräumlichkeiten entwickelt und im Bekanntenkreis umgesetzt. Diese Holzkonstruktionen erhöhen die Wohnraumqualität, indem sie das akustische bzw. das energetische Bild eines Raumes verändern, meistens durch alternative Wand-, Boden- oder Decken-Flächen.


Effiziente Energienutzung in der Stadt von morgen

Sprechen wir über die Zukunftsfähigkeit unserer Städte, ist der Kernaspekt eine effiziente Energienutzung. Die Kinder machen uns darauf aufmerksam: Freitags sind sie auf der Straße und fordern uns zu klimarelevantem konkreten Handeln auf. Wie soll es weitergehen?
Sind die Lehrinhalte an den Bildungseinrichtungen möglicherweise nicht zielführend in Bezug auf ein nachhaltiges Wirtschaften?  Die unmittelbare Frage ist: Wie sanieren und gestalten wir den nahen Bezugsraum nachhaltig und menschengemäß - in dem Maße also, wie wir es ermöglichen können, es uns  gestattet ist, uns hier die Hände hier nicht gebunden sein sollten.    



Modifizierter Denkmalschutz

Die sogenannte Mustersiedlung "Hansaviertel" , errichtet im Rahmen der Internationalen Ausstellung Interbau 1953-1960, galt seinerzeit als Demonstrationsobjekt moderner Stadtplanung und Architektur. Hier sind aktuell - blockiert durch restriktiven Denkmalschutz - die klimapolitisch erforderliche energetische Sanierung  der "Muster"- Immobilien, sowie eine weitergehende zeitgemäße Gestaltung des Gesamtraumes, nicht darstellbar. Eine beherzte energetische Konsolidierung der Bausubstanz mit etwaiger Begrünung und Photovoltaik auf Dächern und an Fassaden, mit diffusionsoffener, temperierender Außendämmung und Erweiterung des Wohnraumes durch etwaigen Anbau von Wintergärten, ist hier nicht angezeigt. Im Rahmen einer etwaigen Aufhebung des Denkmalschutzes wäre es möglich in einem bestimmten Umgang nachhaltig und zeitgemäß energetisch zu sanieren.


Wachstumszwang überwinden

Steigende Umsätze werden generiert, die Logik des gegenwärtigen Finanzmarktes spiegelt sich auch in den Mieten ab, sie hat eine Eigendynamik, die uns sukzessive in die Enge treibt, an Grenzen führt - Der Wohnwert steigt, im Gegensatz zur Miete, i.d.R. nicht.
Eine Mäßigung bzw. Bändigung der akkumulierenden Finanz-Prozesse ergäbe sich - wenn ich das richtig verstanden habe - durch eine Neuregelung der Verfügungsverhältnisse  an Grund  und Boden, sowie der Entkoppelung von Boden und Immobilie in der Spekulation. Ein Leitfaden zum Verständnis des Themas bietet das Buch "Geld ohne Zinsen und Inflation" der Städteplanerin und  Architektin Margrit Kennedy, Professorin für Technischen Ausbau und Ressourcen sparendes Bauen, die von 1979 - 1984 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 den Forschungsbereich Ökologie/Energie und Frauenprojekte leitete, wo erstmalig umfangreiche ökologische Projekte realisiert wurden. Ihre Vorträge zum Thema "Nachhaltiges Bauen" fanden international breite Resonanz, offenbarten jedoch die  - damals wie  heute - vorhercshende Widersprüchlichkeit  überkommenen Wirtschafts-Denkens: „Frau Kennedy, das ist ja alles sehr schön und wichtig", war das häufigste Gegenargument der Zuhörer, "aber es rechnet sich nicht “. Nachhaltigkeit rechnet sich also nicht… Für wen nicht? "Wem nutzt es aber, wenn es "sich rechnet", so Frau Kennedy, "sich dabei zwangsläufig die Ressourcen erschöpfen - und wir uns, lang - oder mittelfristig, selbst umbringen."  http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/kennedy/1996-geld-ohne-zinsen-und-inflation.pdf


Gemeinschaft in der Stadt von morgen

Neben der thermischen Entkoppelung ganzer Gebäudekomplexe wird, infolge der Lärmbelastung durch Straßenverkehr, der Schallschutz, die akustische Entkoppelung zunehmend wichtig, sowie Maßnahmen zur Minderung gebäudeinterner Dissonanzen , durch konstruktiven und technischen Ausbau zur Minderung des Hallaufkommens, sowie der  akustischen Aufwertung von Trennwänden und Geschossdecken.
Eine Rückgewinnung, resp. eine höhere Verfügbarkeit des - eigentlich - öffentlichen Bezugsraumes im Bereich Hansaplatz, der zurzeit noch vom ausufernden Individual- und Schwerlastverkehr allesdominierend besetzt wird, wäre beispielsweise zu erreichen - durch eine untertunnelte Straßenführung  der Altonaer Strasse in Höhe der Bücherei und des Oscar-Niemeyer-Hauses, vom Cafe bis zur Kreuzung Bartningallee - als konstruktive Hochbaumaßnahme in Form eines Erdwall-Aufschichtung über der vorhandenen Straße, mit Spielplatz und/oder Springbrunnen. Auch wäre hier ein offenes Gemeinschaftshaus denkbar. Ein gesundes Biotop, eine Keimzelle für Entwicklung - als Gegengewicht zu den Verfallserscheinungen im Umfeld der Schnapsläden am Platze.





5 Führsorgepflicht für unsere Umwelt - Im Gespräch mit Olinda



Olinda habe ich bei einem offenen Bürger*innen-Treffen auf der Wiese vor dem Niemeyer Haus Ende Mai kennengelernt, und zwar im Rahmen unseres Kunstprojekts „Bringt ein paar Stühle mit“. Olinda war eine von wenigen, die tatsächlich einen Stuhl mitbrachte. Sie meinte es ernst und wollte sich sehr konkret zum Thema Lebensqualität im Viertel austauschen. Sie erzählte, sie habe einen Brief an die Stadtverwaltung mit Verbesserungsvorschlägen geschickt, jedoch keine Antwort bekommen. In dem Brief ging es vor allem um Bepflanzung rund um den Hansaplatz sowie um Anschaffung neuer Grünflächen. Sie sagte, sie wollte ein Gemüsebeet auf der verwahrlosten Grünfläche vor dem Einkaufszentrum Hansaplatz anlegen. Ich fand die Idee prima und habe zugesagt, mitzumachen. So haben Ende Mai Olinda, Schmuel, ein 13-jähriger Junge, und ich den kleinen Gemüsegarten hinter einer Bank vor dem Einkaufzentrum angelegt. Mein Partner David hat ihn mit einem kleinem Zaun und Signalband versorgt. Die nächsten zwei Monate hat sich Olinda darum gekümmert, dass das Beet jeden Tag bewässert wurde. So wurde im August ein Kürbis geerntet. Der junge Schmuel hat viel Spaß gehabt, die Pflanzen von Woche zu Woche wachsen zu beobachten. Olinda ist Grundschullehrerin im Ruhestand. Seitdem sie in der Rente mehr Zeit hat, hat sie noch mehr das Bedürfnis, sich gesellschaftlich zu engagieren. Zurzeit unterstützt sie mehrere Kinder und Jugendliche durch Nachhilfe und gibt Sprachunterricht Deutsch als Fremdsprache. Oft ist sie freitags bei der Friday for Future-Demo dabei. Dieses Gespräch haben wir im August geführt.


Berliner*in zu sein

Im Jahr 1977 bin ich hierhergezogen und jetzt schon eine ganze Weile angekommen. Je länger man in einer Gegend wohnt, desto öfter findet man Menschen, die einen wiedererkennen und grüßen. Aber das dauert Jahre bis zu Jahrzehnten. Ich glaube, du bist erst ein*e Berliner*in, wenn du rausgehst und mindestens eine Person am Tag findest, die dir Guten Tag sagt. Gemeinschaft entsteht immer dann, wenn gemeinsam etwas erlebt wird. Deswegen ist es gerade für eine Großstadt wichtig, Orte zu haben, wo man Gemeinschaft findet.


Eine Stimme in der Stadt

Mein Schlüsselerlebnis hatte ich im Alter von 10 Jahren. Unser Spielplatz sollte durch eine Tankstelle ersetzt werden. Darüber habe ich mich sehr geärgert. Auf den Rat meines Vaters hin schrieb ich dem Bürgermeister einen Brief. Ich erhielt eine Antwort und das Brachland wurde aufgeteilt: Ein Teil blieb den Kindern erhalten, der andere Teil wurde mit einer Tankstelle bebaut. Hier ist mir erstmalig bewusstgeworden, dass ich ein Wesen mit einer Stimme in einer Stadt bin!

Seither schreibe ich ab und zu solche Briefe mit meinen Ideen und Verbesserungsvorschlägen. Einmal habe ich einen Brief an die Stadtplanung mit der Aufforderung, den Fahrradweg vor dem U-Bahnhof Turmstraße zu ergänzen, geschrieben. Nach ein paar Wochen habe ich eine Antwort erhalten und der Weg wurde gekennzeichnet. Normalerweise bekomme ich aber gar keine Antwort. Gerade diesen kleinen Garten habe ich angefangen, weil keine Antwort auf einen meiner Briefe kam. Glücklicherweise, mit deiner Hilfe, hat es geklappt. Alleine hätte ich mich nie getraut! Du hast mir ein bisschen Rückhalt gegeben. Als Einzelner ist man oft zu schüchtern und denkt: Bin ich noch normal? Schon wenn man zu zweit ist, fühlt man sich stärker. Das schafft mal wieder die Gemeinschaft.


Führsorgepflicht für unsere Umwelt

Nicht umsonst bin ich Lehrerin geworden. Durch mein Studium und meinen Beruf bin ich hineingewachsen, die Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, ist ein Satz Erich Kästners und mein Motto. Es bedeutet, dass du deine Ideen verwirklichen musst, sonst sind sie wertlos. Meine Arbeit im Staatsdienst als Grundschullehrerin und Beamtin hat mich sehr geprägt. Ich weiß, dass ich eine Führsorgepflicht für meine Umwelt habe. Jeder Mensch hat es eigentlich, aber das wissen die meisten gar nicht. Natürlich kann man nicht die ganze Welt retten. Viele Menschen kümmern sich daher um niemanden und um nichts. Aber wenn man nicht hilft, dann ist das unterlassene Hilfeleistung. Auch im Fall mit unserem kleinen Garten ist es so: Eigentlich ist das Denkmalamt verpflichtet, sich um diese Fläche zu kümmern und sie nicht verwahrlosen zu lassen.


Vertrauenswürdige Umgebung schaffen

Schon aus eigenem Interesse habe ich mich immer für meine Hausgemeinschaft eingesetzt und schaue immer, ob es meiner nächsten Umgebung gutgeht. Das Gefühl, dass die Menschen um mich herum vertrauenswürdig sind, brauche ich; sonst fühle ich mich einfach nicht wohl. Zum Beispiel hatte ich einmal einen Nachbarn, der permanent immer woanders hingeguckt hat, wenn wir im Treppenhaus aufeinandertrafen. Bis ich dann irgendwann zu ihm gesagt habe, er könnte ruhig mal Guten Tag sagen. Und dann? Dann platzte es aus ihm heraus: „Ja, ich dachte, Sie wären auch eine von denen, die immer blöde Briefe an mich schreiben“, und so weiter und so fort. Seitdem grüßt er mich freundlich.


Unsere Umwelt vor Ort

Eine Freundin und ich haben festgestellt, dass viel Grün für eine Stadt der Zukunft wichtig ist. Nur so haben die Insekten in der Stadt auch eine Chance! Wir haben der Stadtverwaltung einen Brief  mit mehreren Verbesserungsvorschlägen zugeschickt. Unter anderem sehen wir Dachbegrünung als eine realistische Möglichkeit. Es gibt genug Dachflächen, auf die man Gräser und Blumen anbauen kann. Mein Vorschlag, den Hansaplatz zu bepflanzen, will die Insekten fördern. Gleichzeitig will unser Gemüsebeet die Menschen zusammenbringen, um über Natur in der Stadt nachzudenken. Eine kleine Fahrradstraße habe ich eingeplant, um die Autos wegzukriegen, und so weiter...
Offensichtlich sind diese Probleme schon seit den 80er-Jahren erkennbar. Die grüne Partei wurde in den 80ern gegründet. Heute wird den Menschen klar, dass sie es mit der individuellen Mobilität übertrieben haben. Am Anfang war es nur Smog, jetzt ist es CO2 und Klimaerwärmung. Nach dem Sommer 2018 hat man das Gefühl, dass wir auch wirklich richtig davon betroffen sind.
Die Insekten sterben und dadurch gehen wir einer großen Katastrophe entgegen. Ohne die Bestäubung der Insekten, das ist unweigerlich klar, wird es bald eine Lebensmittelknappheit geben. Ein anderer Punkt ist die Viehhaltung. Schon in den 80er Jahren war es für viele ein Grund, sich vegetarisch zu ernähren. Ich bin auch damals Vegetarierin geworden. Dass man das Getreide, das man an die Tiere verfüttert, direkt für die Ernährung von Menschen verwenden könnte, ist ein gutes Argument. Heutzutage geht es nicht nur um Getreide, sondern plötzlich brauchen sie, um die Tiere zu füttern, auch noch Soja und müssen dafür den ganzen Regenwald kappen.


Zusammenkommen der Menschen in der Großstadt

Zum Thema Obdachlose weiß ich auch nicht, was da zu tun wäre. Vielleicht sollte man sie selber fragen, was sie sich wünschen und brauchen. Jeder Obdachlose sollte eigentlich einen Schlafplatz bekommen können. In Berlin gibt es nicht genug Übernachtungsplätze. Vielleicht wäre das auch eine Lösung, genug Schlafplätze zu besorgen.
Wir brauchen aber nicht noch mehr Menschen in unserer Stadt. Ich möchte nicht noch eine größere Stadt haben. Je größer eine Stadt ist, desto mehr Probleme gibt es. Es zeigt sich immer wieder, dass kleine Einheiten viel besser zu managen sind. Die Verwaltung sollte lieber die kleinen Städte um Berlin ein bisschen aufpeppen. Das wäre viel besser für die Menschen als immer anonymer in einer wachsenden Riesenstadt zu leben.

In Deutschland ist jetzt eine neue Generation junger, engagierter, vor allen Mädchen, am Kommen, wie Greta. Von dieser Generation erwarte ich, dass sie ihren Lebensmut behalten und durchhalten. Dass sie ihre Glückshaut um sich haben. Bei den Friday For Future-Demos ist immer eine ziemlich gute Stimmung. Auch hoffe ich, dass die Politiker dann auch irgendwann den Mut haben, das durchzusetzen; nicht nur durch reden, sondern auch durch Prozesse. Dass sie die Gerichte durch Schnellverfahren und auch die Verwaltung auf Trab bringen. Denn ich habe den Eindruck, wir haben zwar sehr engagierte Politiker, aber die Verwaltung arbeitet nicht so gut.





6 Die alternde Gesellschaft und das Miteinander im Haus und vor Ort - Im Gespräch mit Otto



Otto (86) haben wir an einem Samstagnachmittag auf der Wiese vor dem Niemeyer Haus kennenlernen dürfen. Es entwickelte sich gleich ein spannendes Gespräch zum guten Leben im Hansaviertel. Wenige Tage später konnten wir unsere Unterhaltung bei ihm Zuhause, zuerst auf der Dachterrasse und später in seiner Einzimmerwohnung in der obersten Etage, fortführen. Diese bewohnt der Großvater, Sonntagsmaler, Reisende, Rentner und engagierter Nachbar nun schon seit 2001 und weiß es sehr zu schätzen.

Die Dachterrasse 

Wir leben in einer alternden Gesellschaft, in der jeder für sich selbst zurecht zu kommen versucht. Kontakte unter den Nachbarn und Nachbarinnen entstehen selten. Man grüßt sich im Vorbeigehen,und wenn es hochkommt, unterhält man sich über Alltäglichkeiten. Dabei lohnt es sich im Hansaviertel zu wohnen. Man lebt am Rande des Tiergartens nahezu im Grünen, mit sauberer Luft, mit guter Verkehrsanbindung und architektonisch interessant gestalteten Wohnungen bedeutender Architekten. Für mich ist meine Wohnung sehr wertvoll. Durch den Zugang zur Dachterrasse habe ich das Privileg, einen der besten Ausblicke über Berlin zu haben. Hier möchte ich so lange wie möglich mein Alter selbstbestimmt genießen. Mit Freunden habe ich um eine Flasche Champagner gewettet, dass ich es schaffe, 100 Jahre alt zu werden. Wenn ich es nicht schaffe, dann haben Sie wenigstens den Champagner!
Seit drei Jahren hat jeder den Zugang zur Dachterrasse. Vorher fehlte der Schutzzaun und deswegen durfte die Dachterrasse nicht zugänglich sein. Jetzt können sich die Nachbarn hier oben treffen. Und das ist viel schöner als unten. Es ist faktisch von der Gestaltung her toll ausgedacht. In einem Bereich gibt es immer Durchzug, ideal für die Hängematte bei heißem Wetter. Es gibt Platz genug, den Tag zusammen ausklingen zu lassen. Mit meinem Besuch gehe ich auch gerne mal auf das Dach. Ab und an kommen auch Nachbarn und Nachbarinnen und bemerken, wie angenehm wir es uns gemacht haben. Es wäre schön, wenn das Dach immer mehr als Begegnungsraum wahrgenommen wird.
Hier im Gebäude leben vorwiegend ältere Menschen. Die haben alle Angst, die Tür zu öffnen, rufen gleich nach der Polizei. Um Gottes Willen! Aufpassen, dass kein Fremder das Haus betritt. Immer erst fragen: Wer ist da? Es sind dann solche Sachen, die damit zusammenhängen, dass die Menschen nicht aufeinander zugehen. Deshalb empfinde ich den Gemeinschaftsgedanken als so wichtig. Für mich ist die Dachterrasse der Gemeinschaftsraum. Deswegen bin ich gerne privat bereit, zu vermitteln. Ich stelle zwei Stühle, meinen Klapptisch und meine Hängematte zur Verfügung. Das ist der kleine Weg.
Ein Ehepaar der unteren Etage, welches ich über das Mehrbaumhausprojekt näher kennenlernen durfte, kam vor einer Weile das erste Mal zu mir hoch. Sie haben bei mir geklopft und gefragt, ob ich auf ein Glas Wein mit ihnen Lust hätte. Seither haben wir uns ein paarmal getroffen.
Meine Tochter ruft jeden Tag an. Wenn ich nicht antworte, kann sie von nun an das Ehepaar erreichen. Sie kommen dann hoch und klopfen an der Tür. Im Fall, dass ich nicht antworte, haben sie einen Schlüssel und können nachsehen. Dieses auf Gegenseitigkeit, das kommt im Alter.
Erst kürzlich habe ich bei Arte.tv einen Film gesehen, der vom Altwerden in Deutschland handelte. Dieser hielt u. a. fest, dass 600.000 alleinlebende Frauen in Berlin sind. Das muss man sich mal vor Augen halten! Der Inhalt des Films und dessen Ideen haben mir so gut gefallen, dass ich einen Aufruf bei Nebenan.de startete, ob nicht jemand Lust hat, darüber zu diskutieren? Eine Frau aus dem Schweden Haus hat geantwortet, dass sie sehr interessiert ist. Bis jetzt haben wir noch keinen Termin gefunden. Vielleicht finden sich noch mehr Interessent*innen. Dann können wir uns zusammensetzen und überlegen, wie man eine Vernetzung schaffen könnte, um sich gegenseitig Tipps zu geben, im Alter zurechtzukommen.



Ich hätte gern in einem Volk gelebt, das Gastfreundschaft und Miteinander mehr praktiziert

Ich lebe hier seit 2001 und habe meine direkte Nachbarin erst in diesem Jahr etwas näher kennengelernt. Wir waren beide auf unseren Balkonen und ich habe ihr zugewunken. Ich wies auf die Kaninchen unten auf der Wiese hin. Sie erzählte mir, dass wir vier Füchse vor Ort haben, die diese holen. Das war das erste nähere Gespräch nach 18 Jahren Nachbarschaft.
Natürlich kenne ich schon einige Leute, mit denen auf der Straße flüchtige Gespräche entstehen. Das ist mir nicht genug. Ich beginne, die Menschen, die in diesem Haus leben, zu mögen. Ich treffe sie bei Gelegenheiten, lerne sie auf dem Dach kennen, tausche mich mit ihnen aus, werde aktiv, um in Bewegung zu bleiben. Gerade bevor ihr kamt, habe ich eine Nachbarin im Flur getroffen. Bis dahin wusste ich nicht, wie sie heißt. Sie hat eine wunderschöne und sehr atmosphärische Wohnung. Diese Architektur, die Vago kreiert hat, ist Spitze!
Mein schönstes Erlebnis mit Bewohner*innen hier im Haus war mit den beiden Venezolanerinnen bei ihrem Einzug. Ich habe sie gesehen, als sie vor der Tür standen und bin zu ihnen runtergefahren, um ihnen die Tür aufzumachen. Sie haben mich gleich auf Spanisch angesprochen. Ich habe sie auf das Dach eingeladen und beglückwünscht. Dass ich etwas Spanisch spreche, fanden sie toll. Ein Jahr später haben sie alle Nachbar*innen zur Kommunion ihres Sohnes eingeladen. Doch war ich der Einzige, der gekommen ist. Dass so wenig Interesse bei den anderen ist, das tut mir leid.
Ich muss doch ehrlich sagen, dass ich gerne in einem Volk gelebt hätte, wo man Gastfreundschaft und Miteinander viel mehr praktikziert als hier. Das kommt u. a. durch die schlechte Zeit, die wir im Krieg gehabt haben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass je mehr Leute ich aus anderen Ländern kennenlerne, desto mehr Geschichten, die auch Qualität haben, höre ich. Für mich ist das „Mehrbaumhausprojekt“ der evangelischen Kirche hinter dem Tiergarten eine Möglichkeit, mit unterschiedlichen Leuten in Kontakt zu treten. Hier kommt alles zusammen: Italienisch, Französisch, Deutsch. Auch aus anderen Gegenden Deutschlands, was durchaus schon was ausmacht! Die Berliner Schnauze, sagt man hier, ist manchmal etwas garstig, etwas schnoddrig und kurz angebunden. Natürlich hat jedes Land und jeder Bezirk seine Eigenarten und man kann das nicht verallgemeinern.



Durch Solidarität könnte man gemeinsam etwas entstehen lassen

Natürlich hat jeder Mensch andere Erwartungen vom Zusammenleben. Aber durch eine wachsende Solidarität kann man gemeinsam etwas entstehen lassen, sich inspirieren und Anregungen geben. Zum Beispiel kann man viele Dinge teilen und damit Kosten sparen oder einfach Beziehungen schaffen, die einem später helfen können. Nicht nur die Dachterrasse lässt mich an die Zukunft denken. Auch die möglichen zwischenmenschlichen Begegnungen mit den berufstätigen Menschen im Kiez zeigen uns Begegnungsmöglichkeiten auf. Sei es der gesprächige Inhaber des Restaurants Ponchy, die neuen Betreiber des Tiergarten Cafés im Schweden Haus, die junge Verkäuferin des Obstgartens, welche mir bei einem Einkauf erzählte, dass ihr Name „letzte Rose“ bedeutet, da sie das letzte Kind sein sollte. Es sei aber noch eins nach ihr gekommen. Oder die hilfsbereite und kommunikative Verkäuferin in der Bäckerei neben dem Grips-Theater, die mir das Brot schneidet, weil ich es mit meiner schmerzenden Hand nicht mehr kann.
Wenn jetzt noch das Wunder geschehen würde, dass die festgetrampelten und vermüllten Grünflächen sich vielleicht durch eine Gemeinschaftsarbeit aller Einwohner*innen in ihren Urzustand zurückverwandeln, dann wäre unser Hansaviertel lebenswerter und liebenswerter.



Die Alkoholiker und die Obdachlosen sind ein weltweites und philosophisches Problem

Vor einiger Zeit propagierte ich bei nebenan.de, wieso der Hansaplatz eine Visitenkarte für das ganze Viertel ist und habe sehr viel Reaktionen hervorgerufen. Ich kam dann auch zu einem Treffen zum SPD- Büro, wo darüber diskutiert werden sollte, was getan werden kann, um das Viertel aufzuwerten. Doch letztendlich ging es darum, wie man die armen Menschen und die Alkoholiker loswird und nicht darum, wie wir die Grünflächen und den Parkplatz sauberhalten.
Wir leben hier nicht mit den Beamt*innen, die in ihrem Büro sitzen und irgendetwas bestimmen, was sie gar nicht sehen und nicht begreifen. Ihre Entscheidungen aber betreffen uns. Doch möchten wir unser Leben selbst bestimmen und leichter machen. Und gut, gewisse Regeln müssen schon sein. Aber es müssen auch welche sein, mit denen man sich identifizieren kann, die vernünftig und durchführbar sind. Um einen Einblick zu erhalten, wie wir hier leben, habe ich einen SPD-Abgeordneten eingeladen, für eine Woche in einer meiner Wohnungen zu wohnen. Mein Angebot wurde nicht angenommen.
Bezüglich der Alkoholiker*innen und oder Obdachlosen in der Umgebung. Ich denke, mir würde es hier schon auch gefallen, angenommen, ich sei in ihrer Situation. Das Hansaviertel ist im Grünen, hat einen Spätkauf, wo man den Schnaps leicht bekommt. Wie will man das verurteilen? Man muss auch mal nach den Hintergründen schauen. Wie ist es so weit gekommen? Wie weit hat die Gesellschaft daran Schuld? Es ist ein gesamtgesellschaftliches- und weltweites philosophisches Problem. Das ist keine Sache, die man einfach so lösen kann.
Zu einer Frau, die immer mit ihrer Tochter vor dem Rewe bettelte, hatte ich vor ein paar Jahren näheren Kontakt. Ich habe sie gebeten, bei mir sauber zu machen. Sie hat dann über ein Jahr bei meiner Frau und mir geputzt und ich habe sie dafür bezahlt. Während sie die Wohnung saubermachte, habe ich mit der Kleinen gespielt. Das war schön und hat gut funktioniert. Jahre später habe ich ihr dann ein Foto von ihrer Tochter ausgedruckt, das hat uns große Freude bereitet.


Unsere Wahrnehmung von den Zuwander*innen


Heute in der Schreibwerkstatt haben wir darüber gesprochen, wie wir das Mitfahren in der U-Bahn erleben. Die jungen Leute, die für eine ältere Person aufstehen, sind meistens Kinder von Asylant*innen oder Immigrant*innen. Das liegt an der Erziehung der Menschen. Außerdem habe ich beobachtet, dass wenn jemand in der U-Bahn mit einem Becher herumgeht, es meistens Muslim*innen sind, die ihnen etwas spenden. Ich weiß, dass der Koran dazu auffordert, eine Gabe an arme Menschen abzugeben. Eine Frau aus der Gruppe erzählte uns heute, dass sie wieder einen zerlumpten Deutschen in der U-Bahn betteln gesehen hat und nur vermeintlich Immigrant*innen ihm etwas gegeben haben. Es ist schon merkwürdig, dass hier viele gegen Zuwander*innen reden und wie schlimm das sei, dass sie alles wegnehmen und so weiter. Dabei zeigen die uns eigentlich, wie gut erzogen sie sind und wie gesellschaftlich relevant für uns. Sie zeigen in ihrer Haltung, dass sie bereit sind, dieser Gesellschaft noch etwas zu geben.





7 Ein Gemüsegarten am Hansaplatz - Im Gespräch mit Shmuel



Shmuel, 13 Jahre alt, habe ich durch Olinda kennengelernt. Olinda kam zu einem der Treffen auf der Wiese vor dem Niemeyerhaus, um sich zum Thema Lebensqualität im Viertel auszutauschen. Sie wollte etwas bewegen und einen Gemüsegarten vor dem Einkaufszentrum Hansaplatz anlegen. Es gibt Menschen, die mit offenen Augen durch die Stadt gehen und Mitmenschen ansprechen und so ein Mensch ist Olinda, eine Grundschullehrerin im Ruhestand. Ich habe zugesagt, am Gartenprojekt mitzumachen und bin sofort anschließend zum Blumenladen in der Turmstraße gefahren, um Tomaten-, Erdbeer- und Chilipflanzen zu besorgen. Olinda hat ein kleines Plakat mit dem Aufruf, am Gartenprojekt mitzumachen, im Rewe ausgehängt. Eine Person hat darauf reagiert und so trafen wir uns an einem Samstagvormittag zu dritt: Olinda, der Junge und ich. Dass wir Erwachsenen manchmal die Kinder und Jugendlichen unterschätzten, ist klar. So war ich überrascht, dass Shmuel schon als Schulkind bewusst ist, warum er dabei ist, und was so ein Projekt bedeutet. Es war Ende Mai und im Laufe der nächsten Monate haben vor allem Olinda und Shmuel den Garten gegossen. Während Olinda sich unter der Woche um das Gießen kümmerte, hat Shmuel am Wochenende den Garten gegossen. Etwa drei Monate später habe ich dieses Gespräch mit ihm geführt. Ich fragte ihn, warum er an dem Garten mitgemacht hat. Seine Antworten halten mir vor Augen, dass eine neue Generation Jugendlicher mit den Freitagsdemos gerade groß wird.

Ermutigung durch kleine Aktionen

Ich habe schon an manchen Projekten zum Thema Umwelt mitgemacht, aber mit den Pflanzen hatte ich keine Erfahrung. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie die Pflanzen wachsen. So erfährt man Neues über Gemüse und kann es ernten, wie letztens den Kürbis. Es macht Spaß, anzupflanzen und am Wochenende vorbeizukommen und zu sehen, was innerhalb einer Woche gewachsen ist. Aber vor allem ist es gut, dass man sich trifft und etwas zusammen unternimmt. Die Idee war, über das Projekt mit Menschen ins Gespräch zu kommen, den Platz zu verschönern und zu reinigen, damit da nicht so viel Müll rumliegt.
Unsere Garten-Aktion ist eigentlich eine Ermutigung für alle, so etwas Ähnliches zu tun. Wenn viele sich aktivieren würden, dann würde man der Umwelt mehr Aufmerksamkeit geben. Vielleicht kann so ein kleines Gemüsebeet nicht so viel bewirken, aber ein größeres könnte das schon. Dies würde dann auch helfen, dass mehr Menschen sich für die Umwelt einsetzen. Ich dachte, es kommen vielleicht noch mehr Menschen dazu und pflanzen auch noch was. Es ist aber nicht geschehen. Trotzdem war es nicht falsch, hier einzupflanzen, sich darum zu kümmern.
Meiner Meinung nach sollte man im Hansaviertel mehr Ordnung schaffen.  Es liegen viel Müll, Bierflaschen und Zigarettenstummel herum. Das ist kein schöner Ort, um sich aufzuhalten. Ich weiß aber nicht, was man mit den Betrunkenen machen sollte. Vielleicht sollte man die alkoholischen Getränke teurer machen oder auch eine bessere Aufklärung anbieten. Mehr Möglichkeiten sehe ich eigentlich nicht.


Ein Vorschlag

Berlin ist eine der grünsten Städte, habe ich gehört. In diesem Sinne ist Berlin schon fortschrittlich und sollte so bleiben. Aber manche Stadtteile sind zu viel bebaut worden. Ich würde sagen, weniger bauen und viel mehr freien Raum einplanen. Außerdem würde ich überdachte Stellen überall einrichten und dort gemütliche Tische und Stühle aufstellen.


Zusammenkommen in der Stadt

Wenn ich über Gemeinschaft und Zusammenkommen der Menschen in der Stadt nachdenke, kommt mir vor, dass man sich mehr treffen soll, nicht nur zu Hause sondern vor allem auf der Straße. Ich sehe oft die Leute im Park zusammensitzen, und manchmal Schach spielen oder Karten spielen oder ähnliches. Es ist gut, dass die Leute Parks besuchen, weil man weiß, dass man nicht alleine in der Stadt ist. Und die Leute sind überwiegend freundlich.
In meinem Wohnhaus sind die Menschen ebenfalls sehr freundlich und die Nachbarn unterstützen einander, zum Beispiel, wenn etwas repariert werden muss. Die Nachbarschaft ist auch sehr wichtig fürs Leben in der Stadt.


Die Kraft der Stadt

Die Kraft in der Stadt ist, glaube ich, dass viele Leute zusammenkommen können. Alleine kann man nicht viel erreichen; man braucht schon mehrere Personen und  Unterstützung. Meiner Meinung nach sollten die Menschen mehr zusammenkommen, um an einem gemeinsamen Ziel halt zu arbeiten, wie zum Beispiel unser Gemüsegarten.




8 Wird Gemeinschaft überhaupt gebraucht? - Im Gespräch mit Frau F. und Herrn M. 



Frau F. ist 1980 nach Berlin gezogen und wohnt im Hansaviertel seit 2007. Obwohl sie das Grün vor Ort sehr genießt, wohnt sie nicht gerne im Hansaviertel: Es ist ihr zu laut. Hingegen ist ihr Mann, Herr M., sehr froh, im Viertel aufgewachsen zu sein und noch immer in der gleichen Wohnung zu wohnen. Sein Büro hat er ebenfalls im Hansaviertel. Er hat Philosophie und Literaturwissenschaft studiert. Frau F. ist Dozentin.


Wir wohnen in einer Ausstellung

Herr M.: Seitdem ich ein Jahr alt bin, wohne ich in diesem Haus. Damals, in den 1960ern, gab es in West-Berlin noch viele Altbau-Wohnungen mit Ofenheizung und Außentoilette. Es gab in den 1950ern auch andere Nachkriegszeitbauten, die aber von der Substanz nicht so stabil waren. Im entsprechenden Zeitgeist wurden später Märkisches Viertel und Gropiusstadt aufgebaut, jedoch stringent durchgeplant. Das Hansaviertel hatte in West-Berlin historisch bedingt immer einen besonderen Status. Es war eine Internationale Bauausstellung mit internationalen Architekten. Noch immer haben wir hier diesen Ausstellungscharakter: Jeder Architekt präsentiert hier seine Idee der Stadt- und der Innenbebauung und das Spannende ist, wie wir, die hier wohnen, damit umgehen.
Frau F.: Zum Beispiel schimpft fast jeder über die mittlerweile nicht mehr gebrauchten Waschküchen, die alle in der obersten Etage. Wir kommen mit dem Fahrstuhl weder da hoch noch in den Keller. Andererseits habe ich als Zugezogene den Eindruck bekommen, dass es hier ein etwas elitäres Viertel sein sollte. Wenn man dann aber nachfragt, wieso und was ist denn mit den Pennern, dem ganzen Dreck, Strich und Drogenszene, antworten die Leute, dies alles hätte es früher nicht gegeben.


Sozialwohnungsbau

Herr M.: Von Anfang an war es eigentlich irrwitzig, weil das Viertel wurde als Sozialwohnungsbau konzipiert. Bei uns im Aufgang waren unter anderem ein Arzt und ein Rechtsanwalt. Kein Großbürgertum, aber schon gut situierte Leute. In den 1960ern wurde auch Ordnung im öffentlichen Raum noch erzeugt. Es war wirklich eine saubere Gegend, alles schöne neue Häuser. Das Vertrauen in die Moderne war noch vorhanden und die Leute wollten in diesen tollen neuen Häusern wohnen mit dem Müllschlucker, Fahrstuhl und fließend Warmwasser. Noch immer finden es die Leute toll, in den alten originalen Häusern der Nachkriegsmoderne zu wohnen.



Eine Erzählung zur Geschichte der Gemeinschaft im Haus und im Viertel:
Der Gemeinschaftsgedanke ist stärker heute als in den 1960ern

Herr M.: Als ich klein war, funktionierte die Gemeinschaft unter den Kindern schon gut, aber unter den Erwachsenen gar nicht. Heute gibt es hier im Haus, auch in anderen Häusern, unter jungen Familien und Mitbewohnern teilweise sehr enge Hausgemeinschaften, die sich dann doch treffen und etwas organisieren. Bei uns im Aufgang ist es relativ eng verzahnt und man trifft sich zu Feiern und Geburtstagsfeiern. Ähnliche Strukturen gibt es in anderen Häusern auch, es fehlt aber eine klassische Kiez-Kultur, weil ein Zentrum fehlt.
Frau F.: Früher war der Zeitgeist ein anderer. Ich mag es, mich mit unserer Nachbarin Frau Z. zu unterhalten. Sie ist mittlerweile 90. Sie erzählt, dass man sich früher aus der Ferne gesehen, gegrüßt und geguckt hat, was die Kinder machen. Aber sonst war jeder für sich. Auf gar keinen Fall eng zusammen. Also die Strukturen für eine Nachbarschaft, in der man im Alter geholfen bekommt, bestehen eigentlich nicht. Ein paar Nachbarn und wir kümmern uns ein bisschen um die alte Dame. Aber das klassische, so enge Feld ist das nicht. In der Siedlung, wo ich aufgewachsen bin, gab es dann eine alte Dame, die immer auf uns Kinder ein Auge gehabt und manchmal auch für uns gekocht hat. Dafür haben die Eltern für sie eingekauft. Solche Sachen, das gibt's aber hier nicht.
Herr M.: Ich glaube, der Grundgedanke vieler Architekten im Bezug auf Gemeinschaftsräume ist zum Teil jetzt viel lebendiger als es in den 50er und 60er Jahren war. Es war auch eine andere Gesellschaft damals. Nach dem Krieg musste jeder für sich sorgen, überleben. Andererseits war auch jeder geradezu noch stärker auf den anderen angewiesen. In den 60ern war dann schon Wirtschaftswunderzeit und Wohlstand. Dann ging es sehr schnell typisch deutsch – jeder seins. Nur noch meine kleine Familie als Kosmos interessiert mich, aber die anderen interessieren mich gar nicht.
Als ich Kind war, war alles sehr streng. Ich erinnere mich, wir Kinder durften keinen Fuß auf den Rasen setzen.
Frau F.: Und heutzutage streiten wir in der Eigentümerversammlung darüber, ob man Geburtstagfeiern auf der Rasenfläche zulassen sollte, da wir über 70 Parteien sind. Wenn dann doch mal eine Gruppe Kinder hier Fußball spielt, Geburtstag feiert oder Erwachsene einen Tisch aufstellen, dann gibt's immer wieder Streit.



Die kleinen Eigentümer

Herr M.: Früher war es ein Eigentümer, der das letzte Wort und die Entscheidungsgewalt besaß. Jetzt sind es viele kleine Eigentümer, die sich irgendwie absprechen müssen. Es geht um den Austausch und die Entscheidungsfindung. Aus der Perspektive der Gesellschaft ist es heute demokratischer.
Frau F.: Aber es gibt dann wirklich Hürden, über die man nicht drüber kommt. Dass die Mehrheit entscheidet, geht bei Eigentümergemeinschaften nicht: Es gibt Gelegenheiten, wobei jeder zustimmen muss. Manchmal sind es zu viele Diskussionen und Streitereien und man würde dann lieber eine Mietwohnung haben. Man ruft die Hausverwaltung an, „der Wasserhahn tropft", erledigt.



Wird Gemeinschaft überhaupt gebraucht?

Frau F.: Die Frage ist, ob Gemeinschaft überhaupt gewollt wird. Als wir einmal wegen Schlagregen Wasser im Keller hatten, standen mehrere Nachbarn im Treppenhaus und diskutierten, ob wir den Notdienst rufen sollten und wie viel würde es kosten. Eine Nachbarin kommt rein und sagt ganz glücklich, dass ihr Keller trocken ist. Es ist ihr Keller und unser Keller! Es ist unser aller Ding! Manche haben nicht kapiert, dass man mit der Eigentumswohnung quasi eine Aktie im ganzen Haus erwirbt und dass man sich auch um das ganze kümmern sollte. Nicht nur hier im Haus, sondern sehr vielen Leuten fehlt der Gemeinschaftsgedanke, sodass jeder nur noch seins macht.
Frau F.:  Aus der Zeit, als ich 1985 nach Berlin hergezogen bin, kann ich mich an die Anzeigen im Tip-Berlin erinnern, so etwa: „Ich habe dich in der U-Bahn gesehen, melde dich doch mal bei mir.“ Man hat sich in der U-Bahn plötzlich mit Leuten unterhalten: „Ach, Spülmittel im Korb; muss ich auch einkaufen gehen.“ Heute jedoch guckt jeder in sein Smartphone, beschäftigt mit virtuellen Freunden, die es gar nicht gibt, aber eben der Like ist da. Ansonsten kümmert man sich nicht um den anderen.
Ich sehe das schon als Problem, da der Gemeinschaftsgedanke in unserer Kultur insgesamt fehlt. Das ist ein Zerfall in der deutschen Kultur, wahrscheinlich in allen Bereichen. Der soziale Gedanke fehlt einfach. Wenn es mir gut geht, möchte ich, dass es dem anderen auch gut geht. Oder wenn ich das Recht habe, sollen die anderen auch das Recht haben. So soll es sein.
Freundschaften oder Beziehungen entwickeln sich schrittweise. Ich weiß nicht, ob all die Schritte dann in der Stadt fehlen. In Brandenburg sieht man die Nachbarn erstmal nur am Zaun. Irgendwann wird man vorgelassen zur Haustür. Da unterhält man sich an der Haustür, dann kommt man in einen Vorraum mit ein paar Gartenstühlen. Später wird man dann in die Küche gebeten und ganz zum Schluss, nach ungefähr acht Jahren, dann auch ins Wohnzimmer.



Ein Nachbarschaftstreffpunkt am Hansaplatz würde allen gut tun

Herr M.: Für mehr Austausch hier im Hansaviertel bräuchte es wirklich so etwas wie einen Treffpunkt mit netten kleinen Lokalen, die dann für die Bewohner und Bewohnerinnen attraktiv wären. Eine Kiez-Kultur bräuchten wir hier. Eigentlich wäre das Einkaufszentrum der richtige Ort dafür. Das hat sich aber über die Jahrzehnte so umgestaltet, das einen nichts wirklich ins Einkaufzentrum hinführt. Das Einkaufszentrum ist kein Nachbarschaftstreff.
Frau F.: Den Wochen-Markt am Freitag besuchen meistens die Familien mit Kindern; die Älteren gehen da nicht hin, weil man sich nirgends hinsetzen kann.
Herr M.: Früher saßen die älteren Leute oft auf den Bänken im Viertel. Heute haben wir strukturbedingt eben sehr viele Obdachlose, die sich da breitmachen, und dann ist aber die Scheu bei den Älteren da, sich da auch hinzusetzen.
Frau F.: Wir wollen den Flüchtlingen auch helfen, aber als die Welle kam, wurde die Gegend unsicher. Viele Leute sind überfallen worden, und vor allem die Älteren. Jetzt  haben sie Angst, unterwegs zu sein. Weil wir einen kleinen Hund hatten und jeden Tag die Gegend durchgelaufen sind, konnten wir uns mit Geflüchteten im Tiergarten unterhalten. Wir kamen viel mit Afghanen und Syrern ins Gespräch. Es ist schlimm, die Armut der Menschen. Man kann doch nicht einfach daran vorbeigehen.
Herr M.: Man kann sie auch nicht wegjagen.
Frau F.: Ich meine, es sind Menschen. Wir füttern Tiere im Park, aber Menschen, die Hunger haben, sollen uns aus den Augen gehen. Das geht doch nicht so.
Herr M.: Und was diese Situation betrifft, das fällt natürlich auch zurück auf das Einkaufszentrum, zurück zu dem, wo man sich treffen könnte. Da ist es auch nicht schön mit den trinkenden Obdachlosen. Man geht dahin, um schnell einzukaufen und wieder weg.

Um mal was Positives zu sagen: Eine Lösung müsste es geben. Im Hansaviertel wird immer wieder versucht, konservatorisch auf den Ursprung zurückzufahren bzw. die Anmutung für jemand, der von außen kommt, zu erhalten. Aber für diejenigen, die hier wohnen bzw. für die Gemeinschaftsgeschichten könnte noch viel mehr unternommen werden. Die Herausforderung wäre, einen Treffpunkt im Einkaufzentrum zu schaffen.





9 Die Gemeinschaftsidee- Im Gespräch mit Katja




Katja ist eine aktive bildende Künstlerin und pensionierte Kunstpädagogin, die 30 Jahre ihrer Berufstätigkeit der Erwachsenenbildung widmete. Heute bewohnt die dreifache Mutter eine Vierzimmerwohnung der neunten Etage alleine. Im Hansaviertel setzt sie sich für Kunst ein. Für den Bürgerverein hat sie an einem Reader mitgearbeitet, welcher die Kunstwerke im Hansaviertel kontextualisiert. Katja entwarf das „Fenster der Erinnerung“, ein Denkmal im Eingang zum U-Bahnhof Hansaplatz; es erinnert an die 1.030 ermordeten jüdischen Bewohner*innen ab 1942 .
Das Gespräch leitete ich mit der Frage ein: Wie könnte man hier vor Ort besser leben und wie könnte das Zusammenleben in der Stadt besser werden?


Unsere Prägung, die 1960er

Wir sind beide, mein Mann und ich, sind von den 1960er Jahren geprägt worden. Damals studierte ich Kunst und er Architektur. Wir glaubten, wir könnten andere Lebensformen leben. Die Übereinstimmung von Form und Funktion in der neuen Architektur wurde viel diskutiert und beeindruckte uns. Schon in den Entwürfen des Bauhauses, ging es auch darum, dass sowohl Frau als Mann berufstätig sein konnten, deshalb kurze Wege, offene Küchen, sodass an allen notwendigen Versorgungsarbeiten sich jeder beteiligen konnte. Eine Architektur, die andere Verhaltensweisen ermöglichen sollte. Als vierköpfige Familie waren wir gerade groß genug, um für die Sozialbauwohnung hier im Hansaviertel relevant zu sein. Eine Bindung zu den Räumlichkeiten ist bei uns sofort entstanden. Als wir später mehr Raum brauchten und eine Wohnung suchten, war keine Altbauwohnung gut genug für uns. Wir sind hier wegen der Lage, wegen des nahen Himmels in der neunten Etage und den günstigen Bedingungen für die Kinder wohnen geblieben. Die Trinität von Architektur, Natur und Kunst im Hansaviertel war eine begeisternde Idee, die bis heute singulär ist.

Die Gemeinschaftsidee

Wie im Haus Niemeyer die fünfte Etage wurde hier im Schweden-Haus die neunte Etage – in der wir uns jetzt gerade befinden – für gesellschaftliches Leben geplant. Ein Kindergarten für die Kinder des Hansaviertel sollte entstehen, statt dessen wurden außer einer Waschküche der übrige Raum in Wohnungen aufgeteilt. Ich erhoffte damals, hier Gleichgesinnte finden. Idealistisch dachte ich damals, dass z.B. nicht jede Frau Mittag kochen müsste, sondern dass wir uns diese Arbeiten teilen könnten. Auch Waschküche wurde zunehmend weniger benutzt,
weil im Deutschland der damaligen Zeit jede Familie eigene Geräte anschaffte: Meine Waschmaschine! Mein Trockener! Mein Auto! Der Aspekt eines Treffpunktes blieb ungenutzt. Die Kontakte entstehen unabhängig von den Gebäuden. Die Architektur kann nur Räumlichkeiten anbieten und die Ideen auffangen. Sie kann den Platz für Gemeinschaft schaffen, doch diese weiterhin verwirklichen und gestalten können nur die Menschen selber. Diese Sozialbauwohnungen waren für Familien mit Kindern geplant: Hätte die Idee der Gemeinschaftsleben geklappt, würden sich die Familien zu solchen Arbeitsentlastungs- Bündnissen zusammenschließen; sie haben es aber nicht getan. Die Hoffnung der Architekten - nicht nur im Hansaviertel - hat sich in diesem Sinne nicht erfüllt.

Mieter*innen und Eigentümer*innen

Das Fiasko der Gemeinschaftsidee in der Architektur ist ein Fiasko der Gesellschaft und nicht der Architektur, würde ich sagen. Nach 25 Jahren, im Jahr 1982, wurde fast die Sozialbindung der Gebäude aufgehoben, nahe zu alle Wohnungen wurden verkauft.
Damals konnte man mit vielen Steuervorteilen rechnen, wenn man in Berliner Immobilien investierte. Es gibt manche, die mehrere Wohnungen kauften. Der Eigentümer meiner Wohnung, hat die Wohnung noch nie gesehen. In unserer Gesellschaftsform ist dies nicht zu verwundern. Viele Mieter haben gekauft, wir eben nicht. Seither gibt es keine Mieterversammlungen, nur Eigentümerversammlungen. Im Haus wohnen relativ viele Eigentümer. Wenn ich die Hausverwaltung anrufe, wurde ich oft gefragt, ob ich Mieterin oder Eigentümerin bin. Meine Befürchtungen sind, dass ich irgendwann hier nicht mehr werde wohnen können, da die Miete alle drei Jahre kontinuierlich steigt.

Das gesellschaftliche Miteinander im Haus

Es gab vor einigen Jahren eine Initiative von einem Künstlerpaar. Sie wollten eine zunehmend unbenutzte Waschküche in einen Raum, der auch andere Nutzungen erlaubt, umfunktionieren oder als Gastwohnung nutzten. Die Idee stieß aber auf Widerstand anderer Eigentümer. [...] Natürlich gibt es Menschen im Haus, die sich austauschen und befreunden. Jedoch ist jede*r Einzelne aufgefordert, Kontakte für sich alleine aufzubauen. Ich komme gut mit meinen Nachbarn aus und wenn ich Offenes Atelier habe, kommen immer auch Bewohner dieses Hauses. Aber die Illusion, es würde hier im Haus eine Gemeinschaft entstehen, habe ich schon lange aufgegeben.

Miteinander im Viertel

In allen Metropolen der Welt gibt es Obdachlose. Unsere Gesellschaft bringt eben Menschen hervor, die durch den Rost fallen. Und die haben wir dann vor Augen, auf der Straße. Das schlechte Gewissen aber, das möchte man nicht haben, wenn man zu Rewe einkaufen geht. Deswegen hätten wir sie lieber in einem anderen Bezirk, nicht unbedingt hier bei uns. Wir wollen die Last nicht tragen – genauso denken viele. Es geht um Angst und Besitzstandwahrung, würde ich sagen. Durch die Polizeipräsenz, hofft man, sind die Obdachlosen eine Zeitlang einigermaßen eingegrenzt worden. Das mag vielleicht gut sein, ist aber zu kurz gegriffen. Die Polizei kann und sollte nicht als Reparateur der Gesellschaft agieren.

Zur Angst sage ich noch etwas

Wie mehrere andere bin ich auch überfallen worden, als ich abends um halb acht nach Hause ging. Kurz vor meiner Haustür wurde meine Handtasche weggerissen. Es ist schlimm, gehört aber zu einer Großstadt. In der Zeit danach hatte ich viel Angst. Man muss die Angst irgendwie bewältigen können: Wenn ich mit meiner Angst nicht umgehen kann, dann muss ich in ein Heim umziehen. Und so kann es mir eines Tages auch gehen. Zu meinem Überfall sagte die Polizei, dass hier organisierte Banden seien, die sich für Angriffe auf ältere Menschen spezialisiert hätten. Also, es sind Kriminelle, die uns überfallen und nicht unbedingt die Obdachlosen. Die Angst vor Personen, die hier vor den Geschäften betteln konnte ich eingrenzen – ich habe angefangen, mit einigen von ihnen zu sprechen. Oft spreche ich mit einer Frau und gebe ihr regelmäßig etwas Geld. Seit dem Humanismus wurde immer gedacht, dass die Menschen besser werden, wenn sie über mehr Wissen verfügen. Hingegen glaube ich, dass wir Menschen gleichzeitig gut und schlecht sind. Dass ich ein Leben mit einer guten Erziehung und Ausbildung führen konnte, nicht klauen oder auf die Straße gehen musste, das liegt daran, dass ich einfach viel Glück hatte. Wenn ich unter anderen Lebensumständen aufgewachsen wäre, würde vielleicht das Dunkle in meinem Charakter überwiegen.

Vorschlag für eine Beratungsstelle

Ich kenne nicht das Schicksal jedes Einzelnen von den Obdachlosen im Viertel, das würde mich auch überfordern. Aber es gibt sicherlich gute Gründe, weshalb man die Sozialangebote ablehnt. Wenn Sozialarbeiter, die auch verschiedene Sprache sprechen können, zu einer gewissen Uhrzeit regelmäßig und diskret zur Beratung zur Verfügung stünden, wäre das vielleicht ein guter Anfang. Ich habe immer an die Bücherei als solch einen Beratungsort gedacht; dort gibt es einen großen Eingangsbereich mit Zeitschriften und Zeitungen zum Lesen. Die Werte von „Aufgeräumtsein und Reinheit“ sind nicht die, die heute am höchsten stehen. Ich habe das Gefühl, früher haben die Leute selber viel mehr darauf geachtet und es lag nicht so viel Müll rum. Daran sind nicht nur die Krähen schuld. Rund um die Parkbänke liegt immer eine ganze Menge Dreck. Im Winter, wenn ich die Handschuhe trage, dann hebe ich den Müll auf. Das hilft schon und jeder könnte es tun...

Die Zukunft

Die Gesellschaft hat sich sehr verändert in den letzten Jahren. Fahren Sie in der U-Bahn! Schauen sich die Leute da an? Nein! Die schauen in ihre Smartphones! Sie müssen auch gar nicht mehr nach einer Straße fragen, alles kann man ja im Smartphone nachschauen. Jeder sorgt für sich! Ich habe neulich eine junge Frau in der U-Bahn gefragt, ob sie ihre Tasche vielleicht vom Sitzplatz abstellen würde. Sie hatte gar nicht gesehen, dass ich einen Platz gebraucht hätte, weil sie ihre Umwelt gar nicht wahrnahm. Auf der anderen Seite sehe ich, welche guten Möglichkeiten in den neuen Medien stecken und hoffe, dass wir auch neue Formen von Kreativität und Gemeinschaft durch die Medien entdecken können. Immer mehr Personen reflektieren den Umgang mit den neuen Medien. Meine Hoffnung ist, dass die Menschen im Zusammenleben für sich neue Formen entwickeln.



10 Paradies und die Verwahrlosung - Anonym


Paradies

Wir haben es gut: die zentrale Lage in der Stadt, viel Grün, die wunderschöne Architektur der besten Architekten aus der Nachkriegsmoderne, die Akademie der Künste mit tollen Ausstellungen, der Englische Garten mit Konzerten. Es gibt aber viele Probleme, die dieses Paradies für die Menschen, die es gebrauchen wollen und sich darin befinden, erschweren. Es sind hauptsächlich die Schwächeren, die Kinder und die Alten, die zu kurz kommen. Ich habe das Gefühl, dass wir in einigen Aspekten zu liberal sind, dass die öffentlichen Mittel fehlen und manchmal auch der politische Wille, um diese Probleme zu bewältigen.

Eine Situationsbeschreibung

Wenn du aus der U-Bahn steigst am helllichten Tage, da laufen die Polizisten vorbei, da liegen mindestens drei total betrunkene Menschen, kippen alles um, stehen an der Wand und urinieren  dagegen, da gehen die Leute vorbei. Die Touristen denken: „Oh, arme Menschen!“, und so kriegen die stark Betrunkenen noch Essen von den Touristen hingestellt. Manchmal übergeben sie sich und man muss dadurch laufen. Ich finde es bedauerlich, dass es überall nach Urin riecht und dass unsere Pflanzen durch Urin eingehen.
Es gab früher Toiletten, die aber geschlossen wurden, da sie hauptsächlich für Drogenkonsum und für Kinderprostitution verwendet wurden. Die Jungen aus den Ostblockländern wurden zur Prostitution dort gezwungen.
Wenn du in guten Zeiten um 12 Uhr am Freitag mit der U-Bahn fährst, da steigen beinahe in jedem Zug 10 Leute hier aus, mit Schlafsäcken und Isomatten. In Sommermonaten sind es kleine Völkerwanderung, weil es inzwischen auch im Ausland bekannt geworden ist, dass man im Tiergarten übernachten kann. Wir haben uns mit ein paar Leuten hingesetzt und informativ unterhalten.
Auf unserer Wiese vor dem Haus sowie überall liegen häufig zerschlagene Flaschen. So können die Kinder nicht mehr über die Wiesen laufen. Wo könnten die kleinen Kinder schöner laufen als auf dem Gras? Gefährlich sind auch die Spritzen, die ebenfalls rumliegen. Periodisch machen Bewohner kleine Aktionen und sammeln Müll sowie Spritzen in Büschen.
Es gab in den letzten Jahren viele Überfälle, die Handtaschen werden den alten Damen weggerissen, eine Frau wurde im Tiergarten umgebracht. Ich habe kein sicheres Gefühl, wenn ich abends nach Hause komme. Mein Nachbar ist schon im Treppenhaus gewesen, als er zusammengeschlagen und dann ausgeraubt wurde, als er bewusstlos lag. 
Einige Obdachlose aus dem Ausland sind manchmal sehr aggressiv. Sie gebrauchen viel Alkohol und Drogen und du weißt nie, wie die reagieren werden. Einer zum Beispiel hat schon dreimal die Fensterscheibe bei Rewe kaputtgeschlagen. Manchmal geht er sehr aggressiv auf die älteren Leute und Frauen zu. Es gibt aber auch andere, die es tun. Es ist bekannt, wo diese Obdachlosen herkommen, und dass sie alle eine Geschichte haben und in ihren Heimatländern nicht integrierbar sind.

Die Lösungen

Wie die Kripoprävention uns gesagt hat, gehen die Kriminalität und Verwahrlosung immer miteinander, und es fängt mit der Verwahrlosung an. Die Polizei-Präsenz ist stärker geworden, was geholfen hat. In dieser Situation hätte ich zwei Vorschläge:
In der Umgebung gibt es genug Schlafplätze in Obdachlosenheimen. Deswegen ist es nicht nötig, die Menschen im Tiergarten schlafen zu lassen. Ab 10 Uhr sollten sie aufgefordert werden, schlafen zu gehen und sich in den Heimen einzufinden. Die Polizei sollte hier und im Tiergarten an mehreren Stellen mehr Präsenz zeigen. Gerade sind wir im Gespräch, einen privaten Security-Dienst für einige Häuser zu beauftragen. So würden die Securities unregelmäßig rund um die Häuser laufen.


Der Hintergrund der Verwahrlosung

Wie ist es zu dem Ganzen gekommen? Die Verwahrlosung, die hier passiert, hat finanzielle und politische Gründe. Wir befinden uns hier in einer ganz bürgerlichen Gegend, die bis vor 10 Jahren praktisch keine Probleme hatte.
Vor einigen Jahren wurde ein Kälte-Bahnhof am Hansaplatz eingerichtet. Zur ungefähr gleichen Zeit kam ein Späti-Geschäft. Dies hat den Hansaplatz verändert. Nach einiger Zeit kam dazu, dass am Sonntagabend ein illegaler Essensausschank stattfand. Gleichzeitig wurden auch Kleidungsstücke verteilt. An den nächsten Tagen lagen die Kleidungsstücke sowie Plastikteller auf den Grünflächen.
Es gab mehrere Bürgertreffen mit der Stadtverwaltung und Polizei. Schon bei einem der ersten Treffen war deutlich, wie schwierig die Situation ist. Es fing damit an, dass sich eine Frau entschuldigt hat, dass sie die Situation furchtbar findet. Sie sagte etwa: „Entschuldigung, ich bin nicht rechts, aber ich finde es furchtbar, was hier passiert“, und dann erzählte sie von den Überfällen. Dann kam die nächste und sagte ebenfalls: “Ich bin nicht rechts, aber ich fühle mich bedroht.“ Am Ende sagte dann eine Dame: „Ich bin rechts, um das vorab zu sagen. Ich finde es furchtbar, alles was hier passiert, und dass man Angst haben muss. Und ich will mich nicht entschuldigen, dass ich es furchtbar finde.“ Bei dem nächsten Treffen hat sich eine Person gegen den Essensausschank geäußert, auf keinen Fall abwertend, um dann am nächsten Tag im Netz als Nazi stigmatisiert zu werden, was auch sehr gefährlich sein kann. Es ist sehr bedauerlich, dass, wenn man einfach die Umstände aufzeigt, dass man als rechts stigmatisiert wird, dass man überhaupt die Angst von der Stigmatisierung haben muss. 
Ich bin der Meinung, dass solche Konflikte künstlich aufgebaut werden, um Fronten zu schaffen und die Gesellschaft zu spalten. Einige haben Interesse daran, dass das Chaos in der Gesellschaft herrscht.





11 Freundschaften und Miteinander in der digitalen Zeit - Im Gespräch mit N.M.



N.M. ist 13 Jahre alt und wohnt am Hansaplatz.


Freundschaften

Im Haus habe ich einige Freunde, die ich seit meiner Geburt kenne und andere, die ich erst später kennengelernt habe. Mit denen, die ich seit Geburt kenne, kann ich alles unternehmen und wir kennen uns sehr gut. Es ist total schön, Freunde im Haus zu haben. Andererseits habe ich Freunde aus der Schule, die hier im Viertel wohnen und auch mehrere, die in der Stadt verteilt wohnen. Seitdem ich im Gymnasium bin, lerne ich die Umgebung und die Stadt kennen, wenn ich meine Freundinnen besuche oder wen wir rausgehen. Das finde ich sehr spannend und gut.

Miteinander in der Stadt

Wenn man zum Beispiel in die Turmstraße radelt, sind da viele türkische Läden und so kann man auch andere Kulturen kennenlernen. Bei den Freundinnen, die auch türkisch sind, lerne ich andere Gerichte und Sitten kennen. Es ist wichtig, dass man die anderen respektiert, auch wenn sie eine andere Religion, Sitten oder Kultur haben. Es ist auch wichtig, etwas über das Leben von den anderen zu erfahren. Man lernt halt mehr über verschiedene Sitten, aber große Unterschiede gibt es eigentlich nicht. Unterschiedliche Sitten sind in unserer Stadt sehr ausgeprägt, weil es viele Menschen mit internationaler Herkunft gibt. Um gut in einer Stadt zusammen zu leben, darf man sich nicht verachten und es muss ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander bestehen; die Menschen sollten lieber Freunde als Feinde sein.


Miteinander im Viertel

Wenn ich zum Rewe einkaufen gehe, dann treffe ich oft Freunde oder Nachbarn. Ich finde es eben auch cool, dass man fast alle Nachbarn kennt. Die meisten sind offen für eine Kommunikation und man unterhält sich manchmal im Aufzug über das Wetter oder dass ich gerade vom Sport komme. Was ich nicht gut finde ist, dass es bei Eigentümerversammlungen immer irgendwie Stress gibt. Da geht mein Vater hin.
Für ein gutes Zusammenleben würde ich ein Hausfest und ein regelmäßiges Hansaplatzfest ins Leben rufen. So könnten sich die Leute besser kennenlernen und es würde ein größeres Miteinander geben.
Für ein gutes Zusammenleben sind die Grünflachen und der Tiergarten auch wichtig, so dass man sich treffen kann. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es in den letzten Jahren viel schmutziger geworden ist. Wenn man sich auf die Wiese setzen möchte, dann liegen immer viele Zigarettenstummel, Plastiktüten und alles Mögliche herum. Ich frage mich aber, warum es so ist. Es gibt doch überall Mülleimer. So würde ich gerne etwas dafür tun, dass es im Hansaviertel sauberer wird. Ich würde aber auch gerne etwas für die Obdachlosen tun: Es wäre gut zum Beispiel regelmäßige Kurse mit Beratung anzubieten, die ihnen helfen könnten, von Alkohol und Drogen wegzukommen.


Handy und menschliches Miteinander

Als ich noch jünger war, waren wir oft auf dem Spielplatz. Wir Kinder haben gespielt und die Eltern haben miteinander gequatscht, aber auch mit uns gespielt. Aber jetzt sieht man öfter, dass die Kinder spielen und die Eltern nur am Handy sitzen. Sie machen kaum etwas mit ihren Kindern. Seit es die mobilen Geräte gibt, macht niemand mehr viel miteinander.
Wenn ich jetzt eine Freundin treffen möchte, ruf ich sie an und frage, ob sie Zeit hat. Früher bin ich einfach raus gegangen, hab hoch geschaut oder geklingelt und dann haben wir uns getroffen. Aber das macht man jetzt nicht mehr. Jetzt verstecken sich viele hinter ihrem Handy, statt direkt zu kommunizieren und spontan zu sein. Eine Freundin meiner Schwester z. B. spielt die ganze Zeit mit dem Handy oder Computer. Voll blöd, weil man zusammen Tischtennis oder Federball spielen gehen könnte.
Man kann nicht viel verbessern, aber man kann selbst darauf achten Draußen ist es schön, da gibt es echtes Leben. Man ist nicht alleine mit seinem Handy. Auf meinem Handy habe ich eine App, die bestimmte Apps und Spiele auf eine eingestellte Zeit pro Tag begrenzt. Nachdem die Zeit erreicht ist, sind diese Apps gesperrt. Ich schaue zwischendurch mal, ob ich eine Nachricht erhalten habe, aber nicht mehr als fünf Minuten.
Meiner Generation würde ich weitergeben, weniger Zeit mit dem Handy zu verbringen und auch so eine App empfehlen. Doch viele finden das dumm und sagen, sie können sich das selber einteilen. Doch das sehe ich nicht. Ich sehe sie nur am Handy.




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